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MOLOKA'I
Moloka'i ist eine der acht bewohnten Inseln des US-Bundestaates
Hawaii. Sie war mir durch die Lektüre des Buches "Priester
der Verbannten" von Wilhelm Hünermann bekannt, das auf mich
seinerzeit - als 15-Jährigen - tiefen Eindruck gemacht hat. Es erzählt
die Geschichte des belgischen Ordenspriesters Damian de Veuster,
der sich dort im Jahre 1873 freiwillig für die Betreuung der Leprakranken
zur Verfügung gestellt hat.16 Jahre lang hat er mit ihnen gelebt,
ehe er selber 1889 von dieser Krankheit hinweggerafft wurde. Dieser
heroische Engel der Nächstenliebe hat mich seitdem nicht mehr losgelassen
und in mir den Wunsch geweckt, den Schauplatz seines Lebens an Ort
und Stelle zu besichtigen.
Seit 1997 habe ich Moloka'i und die Leprakolonie, in der heute noch
41 Patienten leben, fünfmal besucht. Ich habe Informationen gesammelt
und viele Fotos gemacht. Sie bilden die Grundlage für meine Vorträge,
mit denen ich Pater Damian und sein Anliegen den Menschen von heute
bekannt machen will. An die 80 Mal hatte ich bis jetzt dazu Gelegenheit
in Österreich, Tschechien, der Slowakei und in Deutschland.
Lepra auf Hawaii
1778 landete als erster Europäer der Engländer
Capitain. James Cook auf diesen paradiesisch schönen Inseln. Die
Kunde davon lockte in den folgenden Jahrzehnten abertausende Einwanderer
aus aller Welt dorthin. Sie haben nicht nur die Errungenschaften
ihrer Zivilisation mitgebracht, sondern auch verschiedene Krankheiten,
die bis dato bei den Einheimischen nicht aufgetreten waren und infolge
der fehlenden Abwehrkräfte die Bevölkerungszahl dezimierten. Diese
war 100 Jahre nach der Ankunft von James Cook von 250.000 auf 50.000
gesunken. Am gefürchtetsten davon war Lepra, "Mai Pake"
genannt, zu Deutsch die "chinesische Krankheit", weil
sie von Chinesen eingeschleppt worden war. Um ihre weitere Ausbreitung
zu verhindern, befahl König Kamehameha V. im Jahre 1865, die Kranken
in einer eigenen Leprakolonie auf der Insel Moloka'i zu isolieren.
Das Areal dafür befindet sich auf einer Halbinsel und hat die Größe
von 15 km2. Auf der Seite zum übrigen Teil der Insel hin wird es
von steilen Abhängen umschlossen und die übrigen Seiten vom Pazifischen
Ozean umspült - von der Lage her ein überaus geeignetes Isolationsgebiet".
Pater Damian - Hingabe und Liebe ohne Grenzen
Als Pater Damian 1873 in die Leprakolonie kam,
vegetierten dort ungefähr 800 Menschen in desolatesten Verhältnissen.
Die Kranken erlebten sich als von der Gesellschaft entsorgt und
vergessen, um die man sich nicht mehr zu kümmern brauchte. Sie waren
sich selbst überlassen und es fehlte ihnen an den einfachsten Dingen.
Entsprechend negativ war auch die Stimmung. Es herrschten unter
ihnen Anarchie und Gewalt. Kaum einer kümmerte sich um den anderen.
Die meisten Menschen waren verbittert, aggressiv und dann wieder
total resignierend. Viele dösten dumpf dahin und warteten auf den
Tod.
Als er sah, wie diese Menschen nicht einmal ein Dach über dem Kopf
hatten, sagte er zu sich selber: "Du wirst es auch nicht besser
haben als sie. Solange auch nur einer von ihnen unter den Bäumen
schlafen muss, wirst auch du nicht in einem Haus wohnen". So
hat er fortan unter einem Pandanusbaum geschlafen. Sofort aber begann
er, für sie einfache Hütten aus Holz zu bauen und dafür konnte er
später auch eine Gruppe von Arbeitsfähigen gewinnen.
Dieses Beispiel - so zu leben wie sie und ganz für sie - hat bei
den Kranken einen ganz neuen Geist geweckt und den Lebensmut unter
ihnen wieder aufgerichtet
Vier Jahre vor seinem Tod erkrankte er selber an Lepra. Von da an
redete er die Kranken in seinen Predigten stets mit den Worten "We
lepers" - "Wir Leprakranke" an. Er ist dadurch den
Kranken wirklich ganz gleich geworden und das ist auch der wahre
Grund, warum sie ihm ein geradezu kindliches Vertrauen entgegen
gebracht haben. Zu Recht steht darum auf seinem Grabstein die Inschrift:
"Pater Damian, gestorben als Märtyrer der Nächstenliebe für
die Leprakranken".
Ein Angehöriger der königlichen Familie, der auch als Patient in
der Kolonie lebte und Protestant war, schrieb einmal über die Besuche
von Pater Damian: "Ein sehr sympathi-scher Mann! Er hat mich
öfters besucht, aber nie bedrängt, den katholischen Glauben anzunehmen."
Wie sehr Pater Damian auch trotz seiner eigenen Krankheit bis zum
letzten Tag um das Wohl seiner Anvertrauten besorgt war, belegt
ein Brief, den er wenige Tage vor seinem Tod an Dr. Swift, den Arzt
der Leprakolonie, geschrieben hat. Darin bittet er ihn, zwei Kranke
zu besuchen, weil er es selber nicht mehr kann. Und er dankt dem
Arzt im Voraus für seine Güte.
Kurz nach seinem Tod - damals standen sich noch die christlichen
Kirchen feindselig gegenüber - kam eine Gruppe von Protestanten
aus England, um ein Monument für Pater Damian zu errichten. Es ist
ein etwa drei Meter hohes Kreuz aus Granit, das die Inschrift trägt:
"Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für
seine Freunde hingibt" (Joh 15,13). Wahrhaftig - mit diesen
Worten ist das Leben von Pater Damian genau auf den Punkt gebracht.
Selbst die Anglikaner haben seiner heroischen Hingabe die gebührende
Anerkennung nicht verweigert.
Noch heute sagten mir die Patienten in Erinnerung an Pater Damian:
"Er war einer der wenigen, der uns wirklich verstanden hat.
Er hat das Leben mit uns wirklich geteilt, er ist wirklich einer
von uns geworden".
Trotz Krankheit wunderbare Menschen
Zu Recht sagen wir: "Die Größe eines Menschen
kann man ablesen an dem, wie er seine Leiden bewältigt". Einigen
von wirklicher Größe bin ich in der Leprakolonie auf Moloka'i begegnet.
Ich denke zuerst an Frau Olivia Breitha. Sie ist heute 86 Jahre
alt und lebt seit 1934 in der Kolonie. Mit ihrem autobiografischen
Buch "My life of exile in Kalaupapa" wurde sie zur großen
Kämpferin um mehr Verständnis für die Leprakranken. In diesem Buch
schildert sie, wie sich die Vorurteile und Ängste der Gesellschaft
unmenschlich auf das Leben in der Kolonie ausgewirkt haben. Obwohl
bereits seit 1946 die Infektion durch Lepra von wirksamen Medikamenten
gestoppt werden konnte, bekamen die Patienten erst 1968 die Erlaubnis,
ihre Verwandten auf den anderen Inseln zu besuchen. Sie reiste damals
nach Honolulu. Dort sah sie nach so vielen Jahren der Isolation
zum ersten Mal wieder kleine Kinder, und sie war einfach entzückt.
Sie schrieb: "Es sind solch wunderschöne Geschöpfe". Auf
der anderen Seite aber wurde sie von heftiger Wut erfasst: "Es
ist so grausam, was die Menschen mit uns Aussätzigen gemacht haben.
Sie haben uns nicht nur verboten, eigene Kinder zu haben, sondern
uns auch jeglichen Kontakt mit ihnen untersagt". Denn bis heute
ist es verboten, dass Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren die
Kolonie betreten.
Obwohl Frau Olivia von der Krankheit arg gezeichnet ist und im hohen
Alter steht, strahlt sie heute noch Fröhlichkeit, Energie und Frieden
aus. Sie kann hervorragend erzählen und singen. Heuer hat sie sogar
einen Brief an Kofi Annan, den Generalsekretär der Vereinten Nationen,
geschrieben, damit er mit seinem Einfluss verhindere, dass Menschen
weiter in Gettos gesperrt werden.
Ich denke weiters an Kuulei Bell, eine 65 Jahre alte Frau. Sie hat
sich über das Verbot hinweggesetzt, eigene Kinder zu haben. Aber
gleich nach der Geburt wurde ihr das Kind - eine Tochter - weggenommen
und zur Adoption frei gegeben. Erst nach 12 Jahren - im Jahre 1968
- durfte sie ihre Tochter wieder sehen. Trotz der Bitterkeit dieses
unmenschlichen Vorgehens der Behörden lebt diese Frau heute versöhnt
mit ihrem Schicksal und im Frieden.
Später habe ich erfahren, dass es im Laufe der Jahre vielleicht
hunderte solcher Fälle gegeben hat.
Vom Glauben getragen
"Was gibt diesen Menschen Kraft? Was lässt
sie trotz des schweren Schicksals gelassen und heiter sein?"
- das sind Fragen, die sich dem Besucher unmittelbar stellen. Eine
zentrale Quelle ist der Glaube an einen guten Gott, der ein Herz
gerade für die leidenden und armen Menschen hat. In ihm wissen sie
sich geborgen. So können sie sich über die kleinen Dinge des Lebens
freuen und hegen keine großen Ansprüche und Erwartungen. Sie haben
sich der Isolation gefügt, ohne ihre innere Lebendigkeit und geistigen
Interessen zu verlieren. Es drückt sie manche Bitterkeit, und doch
haben sie Frieden.
Ich wünsche von Herzen, dass nie mehr solche Gettos gegründet werden.
Zugleich aber bin ich dankbar, dass ich diese Leprakolonie kennen
lernen durfte. Sie ist ein anschauliches Beispiel dafür, dass selbst
Menschen mit einem so schweren Schicksal nicht verbittert sein müssen,
wenn ihnen Menschen wie Pater Damian zu Hilfe kommen und sein Geist
unter ihnen weiter lebt.
Peter Zaloudek, ThLic.
Czapkagasse 8/4
A - 1030 Wien (Geschrieben für die deutsche
Zeitschrift "Reportagen aus der einen
Welt" des deutschen Aussätzigen Hilfswerkes
- Juni 2002) |
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